Fasnachts-Bescherungsgesellschaft Küssnacht am Rigi
Wohl wenige Schweizerinnen und Schwei-zer können sich in einem reichen Land wie dem unseren heute vorstellen, dass es noch vor 100 Jahren für einige Menschen besonders schwer war, unbeachtet ganz am Rande der Gesellschaft zu stehen. Dennoch gab es sie auch bei uns. Menschen, die allein und alt, obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht waren. Menschen, die sich selbst nicht mehr helfen konnten. Oder Kinder, die als sogenannte Sozialwaisen in ein Heim kamen. Denn noch weit ins 20. Jahrhundert hinein benutzten die Vormundschaftsbehörden den dehnbaren Begriff der «Verwahrlosung» als Disziplinierungsmittel für Familien, die sich nicht gesellschaftskonform verhielten.
Bis ins 19. Jahrhundert war die Fürsorge für erwerbsunfähige und betagte Menschen weitgehend Sache von Familienangehörigen, gemeinnützigen Organisationen und der Kirche. Daneben gab es eine unzureichende und oft einschränkende öffentliche Armenfürsorge. In den 1890er-Jahren wurden in der Schweiz, auch unter dem Eindruck der Massenarmut der Fabrikarbeiter-Familien, Forderungen nach Sozialversicherungen laut, bis 1890 dann die erste Verfassungsgrundlage für die Unfall- und Krankenversicherung geschaffen wurde. Erst 20 Jahre später, 1912, wurde das Ge-setz vom Volk gutgeheissen. Für die AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) wurde die Verfassungsgrundlage 1925 ge-schaffen. 1931 scheiterte die erste Vorlage vor dem Volk. Während des 2. Weltkrieges (1939 – 1945) nützte der Bundesrat seine |
ausserordentlichen Vollmachten und trieb die Entwicklung der Sozialversicherungen an. Er schuf die Lohn- und Verdienstersatz-ordnung für die Militärdienstleistenden – die heutige Erwerbsersatzordnung –, die hin-sichtlich Organisation und Finanzierung die Grundlage für die AHV bildete. Am 6. Juli 1947 wurde das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung im zweiten Anlauf vom Volk deutlich angenom-men und auf den 1. Januar 1948 in Kraft gesetzt.
Vor diesem Hintergrund wird erkenntlich, wie sehr die Bewohnerinnen und Bewohner wie auch die sogenannten Sozialwaisen im ehe-maligen Armen- und Asylheim des Bezirks Küssnacht in Immensee auf Unterstützung angewiesen waren. Auch wenn die Schweiz als neutraler Kleinstaat während des 1. Welt-krieges von direkten kriegerischen Ereignis-sen verschont blieb, wurde sie wirtschaftlich umso mehr betroffen und gar auf eine innere Zerreissprobe gestellt. Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung der Schweiz hing damals zu 40 Prozent von Importen ab. Trotz staatlicher Lenkungsmassnahmen (Getrei-demonopol 1915 zur besseren Koordination und Rationierung ab 1917) führte der Krieg zu starker Teuerung. Jeder Soldat leistete im Durchschnitt etwa 500 Diensttage und erhielt in dieser Zeit weder Lohn noch eine Verdienstausfallentschädigung (diese wurde erst vor dem 2. Weltkrieg eingeführt). Dies führte in den ärmeren Bevölkerungsschich-ten auch noch in den Jahren nach Kriegs-ende 1918 unweigerlich zu harten Notlagen. |
Umso höher ist der Entscheid der Gründer der Fasnachts-Bescherungsgesellschaft Küssnacht zu schätzen, 1919 zum ersten Mal die Bewohnerinnen und Bewohner des damaligen Armen- und Asylheims in Immensee zu besuchen und sie mit Trank-same und Köstlichkeiten für den Gaumen zu überraschen, wie sie diese wahrscheinlich nur vom Hörensagen kannten. Dass dann für einige Stunden auch der Frohsinn in das damals doch eher triste Alltagsleben im Heim Einzug hielt, steigert den Respekt vor den Gründern zusätzlich. Diese vorwiegend gewerbetreibenden Männer aus dem Bezirk Küssnacht haben bereits vor 100 Jahren bewiesen, dass die Würde jedes Menschen in jeder Situation unverlierbar und damit unantastbar ist. Diese Würde, die an keine Bedingungen geknüpft ist und unabhängig von Gesundheit und Krankheit, von vorhandenen Fähigkeiten oder
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erlittenen Verlusten und unabhängig auch von der fi nanziellen Situation gilt. Innerhalb der inzwischen 100-jährigen Geschichte der Fasnachts-Bescherungsgesellschaft Küssnacht sind leider nach dem Gründungsprotokoll von 1919 bis 1954 durch nicht mehr vorhandene Dokumente grosse Lücken entstanden. Dank Recherchen in Archiven und alten Zeitungen konnten diese zumindest soweit geschlossen werden, dass über die langen Jahre dennoch einige «Rosinen» in Erinnerung gerufen werden können. Dazu wünsche ich Ihnen überraschende und erfreuliche Einblicke, die Sie vielleicht bewegen mögen, sich der Fasnachts-Bescherungsgesellschaft Küssnacht als Mitglied anzuschliessen.
Hans-Peter (Buda) Rust |